Aktuelle Rechtsprechung zum gemeinschaftlichen Testament & wechselbezüglicher Erbeinsetzung

23.3.2025
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Tim Grau / Prozessfinanzierer & Geschäftsführer Falkenegg

OLG Celle, Beschluss vom 12.11.2024 – 6 W 132/24

ZEV 2/2025 S.108ff.

Der Beschluss hat grundlegende Bedeutung für die Testamentsgestaltung und das Erbrecht.

 

Im konkreten Fall hatten Eheleute 1975 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Erben einsetzten und ihre vier gemeinsamen Kinder (B 1-4) als Nacherben zu gleichen Teilen bestimmten. Der Wortlaut ihres Testamentsbesagte: "Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu Erben unseres derzeitigen Nachlasses ein, dergestalt, dass der Überlebende von uns berechtigt ist, frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen. Nacherben sind unsere 4 Kinder."

 

Nach dem Tod des Ehemannes (M) erstellte die Ehefrau (E) 2017 ein neues Testament, in dem sie nur ihre beiden Söhne (B 1 und 2) als Erben einsetzte und ihre beiden Töchter (B 3 und 4) ausdrücklich vom Erbe ausschloss mit der Begründung, diese hätten "jeglichen Kontakt abgebrochen". Nach dem Tod der Mutter beantragten B 1 und 2 einen Erbschein, der sie als Miterben zu je 1/2 ausweist. B 3 und 4 legten Beschwerde ein und argumentierten, dass sie gemäß des ursprünglichen gemeinschaftlichen Testaments von 1975 weiterhin Anspruch auf ihren Erbteil hätten.

 

Das OLG Celle entschied zugunsten der Beschwerde von B 3 und 4. Das Gericht stellte klar, dass die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder in einem gemeinschaftlichenTestament im Zweifel wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des überlebendenEhegatten ist. Dies bedeutet, dass der überlebende Ehegatte nicht ohne Weiteres die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder ändern kann, wenn dies nicht ausdrücklich im Testament vorbehalten wurde.

 

Für die rechtliche Beurteilung sind folgende Grundsätze wesentlich:

 

1. Nach § 2270 Abs. 1 BGB liegt Wechselbezüglichkeit vor, wenn die Verfügung eines Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre.

 

2. Bei der Prüfung der Wechselbezüglichkeit muss für jede einzelne Verfügung konkret bestimmt werden, welche Verfügung des anderen Ehegatten als korrespektiv anzusehen ist.

 

3. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB besagt, dass im Zweifel einwechselbezügliches Verhältnis anzunehmen ist, wenn Ehegatten sich gegenseitig bedenken oder wenn einem Ehegatten eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist.

 

Das Gericht betonte, dass die Klausel "frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen" sich nur auf die Vollerbenbefugnis unter Lebenden im Rahmen der Verfügungsbefugnis bezieht (§ 2286 BGB), nicht aber auf eine Befugnis, die testamentarische Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder zu ändern.

 

Diese Entscheidung ist praxisrelevant, da sie unterstreicht, wie wichtig es ist, in gemeinschaftlichen Testamenten klar zu regeln, welche Verfügungen wechselbezüglich sein sollen und ob der überlebende Ehegatte eine Änderungsbefugnis haben soll. Die unklare Formulierung und fehlende explizite Regelung der Wechselbezüglichkeit führt häufig zu Rechtsstreitigkeiten nach dem Tod des ersten Ehegatten. Ein sorgfältig formuliertes Testament mit ausdrücklichen Regelungen zur Wechselbezüglichkeit und möglichen Änderungsbefugnisse kann solche Erbstreitigkeiten vermeiden.

Scheuen Sie also nicht, sich anwaltlichen Rat einzuholen, wenn Sie über ein gemeinschaftliches Testament nachdenken. Nichts möchte man wohl weniger, als einen (provozierten) Erbrechtsstreit in der zurückgebliebenen, trauernden Familie.

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